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Maison Madame | Die Sex-Wende

Mit Mitte 40 geschieht etwas mit unserer
Sexualität. Es ist eine Phase des Umbruchs, in der sich nicht nur der Hormonspiegel ändert. Viele spüren das Älterwerden, die Kinder sind selbstständig geworden,
und oft steht auch die Partnerschaft auf dem Prüfstand. Die Sexualtherapeutin Katrin Hinrichs erklärt,
wie Frauen und ihre Partner lustvoll durch diese Lebensetappe kommen.

MAISON MADAME: Was ändert sich sexuell für Frauen in mittleren Jahren? 

Katrin Hinrichs: Es ist die Zeit der Wechseljahre. Die Veränderungen sind aber sehr individuell. Manche Frauen merken überhaupt nichts, manche erst viel später. Diejenigen, die sagen, „Meine Sexualität hat sich kaum
verändert“, die sehe ich nicht in meiner Praxis. Ich
habe eher mit den Frauen zu tun, bei denen eine ganze Menge passiert. Nicht nur körperlich, sondern
auch emotional. Im Körper sinkt das Östrogen, das
Hormon, das den weiblichen Zyklus steuert. Das kann zu Schmerzen beim Sex führen, denn durch
den Östrogen-Rückgang werden die Schleimhäute
dünner, und die Lubrikation der Vagina ist auch
nicht mehr so gut. Die sinkenden weiblichen Hormone können sich außerdem negativ auf die Libido
auswirken. Es gibt jedoch auch Frauen, die dadurch
den Einuss des Testosterons spüren und sagen, sie
hätten jetzt erst richtig Lust. Aber Sex hat sowieso
viel mehr mit dem Innenleben zu tun.

Wie wirkt sich dieses jetzt auf unsere Sexualität aus?

Die gute Nachricht ist: Sexualität wandelt sich ein
Leben lang. Sie bleibt nie gleich. Eine Frau mit etwa
50 Jahren hat auch ohne Wechseljahre schon so einige Veränderungen erlebt, jeden Monat Zyklusschwankungen, die Geburt von Kindern, die gereifte Partnerschaft. Jetzt müssen wir uns um die Lust
kümmern. Vielleicht wird der herkömmliche Sex ein
wenig schwieriger, aber dann machen wir eben etwas
anders. Wir sollten akzeptieren, dass wir älter werden, bereit sein, Neues auszuprobieren beim Sex. Das ist ohnehin eine lebenslange Aufgabe. Aber manche
Frauen haben das Gefühl, sie sind raus aus dem Spiel.
Dass sie in einer Zeit des Abschiednehmens sind. Sie finden sich nicht mehr sexy, ihnen macht es zu schaffen, älter zu werden, sie haben mehr Falten, graue Haare,
nehmen zu, brauchen eine Brille. Manche haben auch
ein Problem damit, dass sie keine Kinder mehr bekommen können. Es ist eine Frage des Selbstwertgefühls, das
in einer solchen Umbruchphase sinken kann. Allerdings
hatten die Frauen, die zu mir kommen und sagen, sie
hätten jetzt überhaupt keine Lust mehr auf Sex, die also
quasi die Sexrente mit meiner Hilfe einreichen wollen,
vorher auch schon nicht allzu viel Lust gehabt.

Sexualtherapeutin Katrin Hinrichs praktiziert in Hamburg, zu ihr kommen Patient*innen und Paare auf der Suche nach der verlorenen Lust.

Sexualtherapeutin Katrin Hinrichs praktiziert in Hamburg, zu ihr kommen Patient*innen und Paare auf der Suche nach der verlorenen Lust.

Was sagen Sie Frauen, die sich nicht mehr wohlfühlen in
ihrem Körper?

Ich frage oft ganz direkt: „Sitzen Sie vielleicht jeden
Abend in der Jogginghose rum? Morgen ziehen Sie mal
einen Rock und Pumps an.“ Das fühlt sich dann schon
ganz anders an. Viele merken in diesem Moment: Ach
ja, stimmt, Bequemlichkeit ist nicht alles. Außerdem
mache ich Körperübungen für Beckenboden, Becken
und den ganzen Körper – im Sitzen, Stehen und Liegen.
Bewegung tut nicht nur physisch gut. Psychisch geht es
darum, die Aufmerksamkeit für den Körper zu schärfen,
die für sexuelles Erleben und Lust notwendig ist. Und
Frauen sollen auch ein Gespür für Bewegungen bekommen, mit denen sie sich erotisch fühlen.

Was meinten Sie vorhin mit „sich um die Lust kümmern“?

Hier sind wir auf der ganz wichtigen Paarebene: Viele Paare glauben, Sexualität müsse grundsätzlich möglichst so bleiben, wie sie zu Anfang mal war. Das ist einer der größten Irrtümer. Verabschieden wir uns doch
mal vom üblichen Penetrationssex. Dieses Rein-Raus ist,
ehrlich gesagt, für die Vagina noch nie besonders interessant gewesen, weil sie kaum Rezeptoren dafür hat.
Wenn man jung ist, mag das noch okay sein, oder man
hält das aus. Aber wenn wir Frauen weniger Östrogen
haben, kann der Geschlechtsverkehr zu einem Reibungsschmerz führen. Es gibt so tolle andere Möglichkeiten. Etwa Slowsex, bei dem die Partner sich vornehmen,
wir berühren uns, wir haben eine gute Zeit, ohne
Ziel. Das hat mit Sinnlichkeit zu tun. Und es ist so
wichtig, mal die Sinne sprechen zu lassen, ohne dass
es immer zum Geschlechtsverkehr kommen muss.
Sexualität ist ein reichhaltiges Buffet. Neulich hatte
ich eine Patientin, die brachte es auf den Punkt:
„Wissen Sie, ich habe auf diese schnelle Welle, die ja
in meinem Alter auch für meinen Mann schwieriger
wird, keine Lust mehr.“

„Das Gehirn ist unser
größtes Sexualorgan,
und es langweilt sich
leicht, vor allem in einer
langen Partnerschaft

Katrin Hinrichs

Die Sexualität des Mannes ändert sich in dieser Lebensphase also auch. Das müsste doch eigentlich passen …

Der Mann kommt in die Andropause. Für ihn bedeutet der sinkende Hormonspiegel Stress. Die Veränderung ist für Männer oft schwieriger, weil sie
nicht gewohnt sind, darüber nachzudenken, und sie
auch weniger aufgeklärt sind. Frauen kennen dieses
Rauf und Runter ihrer Hormone, in jedem Zyklus
passiert das. Und die Wechseljahre sind zwar noch
ein gewisses Tabu, aber immerhin wissen Frauen,
dass sie sich Hilfe holen können. Sie gehen zum Arzt,
lassen sich beraten. Sie wissen, dass sie sich Hormone oder pflanzliche Mittel verschreiben lassen können. Männern ist über ihren Hormonhaushalt wenig bekannt. Sie interessieren sich weniger für ihren
Körper und beschäftigen sich mit dem Thema nicht.
Und anders als die weiblichen Wechseljahre schleicht
die Andropause sich an, Männer merken lange
nichts. Schließlich können sie die Erektion nicht
mehr gut halten und haben sie weniger spontan.

Und dann?

Dann müssten sie ihre Sexualität umstellen. Aber
das wollen viele nicht. Eine Erektion ist für die
Männlichkeit extrem wichtig. Wenn Männer merken, dass das nicht mehr so gut klappt, entscheiden
sie sich sehr oft für die Vermeidung, haben gar keine Lust mehr auf Sex. Und die Partnerin denkt, es
liegt an ihr. Bei manchen Männern kommt es zu den
bekannten Klischees, sie kompensieren – etwa mit
einem neuen Auto. Oder mit einer jungen Freundin.
Oder sie wollen die Beziehung öffnen, in einen Swingerclub gehen. Die Motivation dahinter ist: Wie steigere ich meine Erregung, und vor allen Dingen, wie
halte ich die Erregung? Das ändert dann manchmal
auch kurzfristig etwas.

Warum ist die Erregung in einer Partnerschaft schwieriger als mit einer neuen Freundin?

Die Länge der Partnerschaft ist der Sexkiller Nummer eins. Weil das Gehirn unser größtes Sexualorgan ist. Das Gehirn fängt leicht an, sich zu langweilen. Wir wissen, dass nichts so antriggert, wie
Fremdes, Neues, Verbotenes. Und eine offene Beziehung oder ein Besuch im Swingerclub ist insofern
spannend, weil es etwas ganz Neues ist, und man
vielleicht mal über seine eigenen Grenzen geht. Das
ist aber kein Lösungsvorschlag für ein Paar, das zusammenbleiben möchten.

Haben Frauen diesen Wunsch nach etwas Neuem nicht?

Es gibt auch Frauen, die sagen: „Ich möchte jetzt etwas Neues. Ich kann nicht mehr schwanger werden, muss nicht verhüten und habe viel Lust durch das Testosteron. Aber ich mag diesen immer gleichen Sex mit meinem Mann nicht.“ Wir wissen, dass die Frauen sich schneller langweilen als Männer.

Tatsächlich? 

Das ist erwiesenermaßen so. Viele trauen sich aber
nicht, das vor ihrem Partner offen zuzugeben. Ich
habe relativ häufig Frauen in der Praxis, die sagen,
sie möchten jetzt noch einmal richtig etwas erleben.

Was raten Sie ihnen?

Oft müssen Paare in kleinen Schritten wieder zusammenkommen. Mal wieder etwas unternehmen, überhaupt wieder körperlichen Kontakt haben, etwa
bei einer Massage. Im mittleren Lebensalter beginnt
für beide eine neue Phase. Die Kinder sind groß,
eventuell sogar aus dem Haus, und es ist wieder mehr
Zeit für die Partnerschaft. Viele müssen neu lernen,
damit umzugehen. Das Wichtigste ist, dass ich mit
meinem Partner im Gespräch bleibe, dass ich den
Kontakt, auch den körperlichen, zu ihm nie abreißen lasse. Ich frage Paare immer als erstes: „Wann
berühren Sie sich? Wann küssen Sie sich?“ Dann höre
ich: „Berühren? Hmm …“

Und wie kommt man sich wieder näher?

Da kann man so viel ändern. Vielleicht stellt man
gemeinsam fest, die Bedürfnisse sind andere, es geht
mehr um Zärtlichkeit. Gemeinsam kann man eine
neue Art von Sexualität finden. Es ist auch gut, wenn
eine Frau offen sagen kann, dass manches unangenehmer ist, und sie sich eine Feuchtigkeitssalbe für
die Vagina besorgen möchte. Und im Gegenzug der
Mann Viagra ansprechen kann. Ich habe auch Paare, die sehr verunsichert sind: „Wir haben gar keinen
richtigen Sex mehr, nicht wie früher. Wir glauben,
wir lieben uns nicht mehr.“ Dann sage ich: „Immer
mit der Ruhe! Das bedeutet es nicht.“ Liebe ist ein
anderes Thema als Sex, der Sex bleibt nur nicht gleich.

Muss man denn Sex haben?

Meinetwegen nicht. Wenn ein Paar abends im Bett
liegt, kuschelt, gute Nacht sagt, dann ist es vollkommen in Ordnung. Dann ist das gut. Meinetwegen
muss niemand Sex haben. Aber es wäre gut, wenn Paare
darüber reden. Es müssen nämlich beide keinen Sex
wollen, das sollten sie offen klären. Das emotionale
wie das körperliche Band sollte nicht abreißen.

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